LK Österreich startet Prozess zur Bioökonomie

Jan 16, 2019 | Allgemein

Moosbrugger zur geplanten Steuerreform: Nachhaltigkeit muss sich lohnen

Wien, 15. Jänner 2019 (aiz.info). – Die österreichische Land- und Forstwirtschaft ist Hauptbetroffener des Klimawandels, aber gleichzeitig auch ein wesentlicher Teil der Lösung. In den vergangenen Jahren hat der Sektor Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgase gesetzt, nun richtet sich das Augenmerk darauf, mit der Bioökonomie aktiv zukunftsorientierte Antworten auf den Ausstieg aus dem Fossilzeitalter zu geben. Ein entsprechender Prozess wurde heute bei einer Klartext-Veranstaltung der Landwirtschaftskammer (LK) Österreich unter dem Titel „Bioökonomie – Chancen aus Acker & Wald“ in Graz angestoßen, an der neben den Präsidenten der LK Österreich, Josef Moosbrugger, und der LK Steiermark, Franz Titschenbacher, auch der Generalsekretär der High Level Group aus Brüssel, Stefan Schepers, Wirtschaftsforscher Franz Sinabell, der Geschäftsführer des BioEconomy Cluster Mitteldeutschland, Matthias Zscheile, sowie Vertreter heimischer Unternehmen teilnahmen. Einig war man sich darin, dass im Sinne künftiger Generationen das Ende des fossilen Zeitalters unabdingbar ist, der Wandel alle Gesellschaftsschichten betreffen wird und es entsprechende politische Rahmenbedingungen für die Bioökonomie braucht.

Moosbrugger: Wir leben auf Kosten der Umwelt

„Unser gesamtes Wirtschaftssystem baut noch immer auf der Verwendung fossiler Rohstoffe auf, worin auch die Hauptursache der Klimakrise liegt. Wir leben auf Kosten der Natur und der Umwelt, hier braucht es klare Änderungen, um den Klimawandel zu bremsen – für die künftigen Generationen“, forderte LKÖ-Präsident Moosbrugger. Die Land- und Forstwirtschaft ermöglicht mit der Bioökonomie den Wechsel von fossilen zu nachwachsenden Rohstoffen und somit zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Das eröffnet

zahllose neue Chancen für Bäuerinnen und Bauern, für Wirtschaft und Industrie sowie für Arbeitsplätze. Bioökonomie ist darüber hinaus das wirksamste Mittel gegen den Klimawandel. „Dafür braucht es jedoch eine klare politische Botschaft aus Brüssel und in Österreich müssen wir darüber nachdenken, wo Möglichkeiten für die Bauern bestehen, Signale zu setzen und ihren Wertschöpfungsanteil zu erhöhen“, so Moosbrugger.

Mit der Bioökonomie werden sich auch Warenströme und die Zusammenarbeit zwischen Branchen grundlegend ändern. Für die bäuerliche Interessenvertretung ist damit verbunden, dass die Landwirte als Rohstofflieferanten für eine neue nachhaltige Wirtschaftsweise künftig mit den Verarbeitungsbetrieben auf „Augenhöhe“ kooperieren. Das sei entsprechend in den Regelwerken zu verankern. Ferner sei es erforderlich, neue Märkte für land- und forstwirtschaftliche Roh- und Reststoffe aufzubauen und so die Wertschöpfungstiefe auf die Erzeuger zu erhöhen, stellte der LKÖ-Präsident klar.

Ökologische Steuerreform zeigt Kostenwahrheit auf

Diese Umorientierung in Richtung Nachhaltigkeit verlangt laut Moosbrugger neben technischen Neuerungen vor allem auch neue steuerliche Rahmenbedingungen. „Bis heute müssen die Folgekosten von Schäden an Natur und Umwelt, die aus der Verwendung fossiler Rohstoffe resultieren, in erster Linie von den davon Betroffenen oder von der Allgemeinheit, jedoch nicht von den Verursachern getragen werden. Die geplante Steuerreform ermöglicht hier eine grundlegende Änderung. Denn Nachhaltigkeit muss sich lohnen“, betonte Moosbrugger. Er bezog sich dabei konkret auf eine Besteuerung von CO2 als Haupttreiber des Klimawandels. Gleichzeitig sei bei der Biomasseerzeugung von den Förderungen abzugehen und der Weg zu effektiven, wirtschaftlichen Marktpreisen zu beschreiten.

Moosbrugger ist überzeugt, dass die öffentliche Hand als Vorbild den Umstieg auf eine nachhaltige Ökonomie deutlich beschleunigen würde, etwa, wenn sie ihre Gebäude in Holzbauweise errichtet. Von Vorteil wäre auch, bei Sanierungen natürlichen Dämmstoffen im Förderregime den Vorrang zu geben. Unabdingbar sei ferner, rasch praxistaugliche Nachfolgetarife für Holzkraftwerke zu beschließen, „denn aktive Klimapolitik und der Weg aus dem fossilen hin in ein nachhaltiges Wirtschaftssystem dürfen keine leeren Worthülsen bleiben“, so Moosbrugger.

Nachwachsende Rohstoffe anstelle von Erdölprodukten sind keine Zukunftsmusik

Auch Titschenbacher ist überzeugt, dass landwirtschaftliche Urprodukte im Zusammenwirken mit der Wissenschaft und der Forschung ein sehr guter Weg zur Absicherung des Klimas, der nachfolgenden Generationen und der bäuerlichen Wertschöpfung sind. „Wie ein Projekt der Boku und der TU Graz mit Holz im Fahrzeugbau, das größte heimische Holzhochhaus mit 24 Stockwerken in Wien oder die Stofferzeugung aus Zellulose durch die Lenzing AG zeigen, ist Bioökonomie bereits Realität und in einigen Bereichen auf einem sehr guten Weg“, so der Präsident der LK Steiermark. Land- und forstwirtschaftliche Rohstoffe kommen aber auch in der Tierhaltung zum Einsatz, wie etwa Katzenstreu oder Wiesenpellets als Futtermittel, ferner wird Holz als Gipsersatz bei Knochenbrüchen in Spitälern verwendet.

Volkswirtschaftliche Vorteile der Bioökonomie

Welche volkswirtschaftlichen Effekte die vermehrte Nutzung landwirtschaftlicher Rohstoffe zur Erzeugung neuer und innovativer Produkte bringt, hat Sinabell vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung anhand einer Fallstudie ermittelt. „Dabei zeigte sich, dass mehr Effizienz in der Fütterung Einsparungen von Rohstoffen ermöglicht, die anderweitig genutzt werden können – etwa kaskadisch, was Wertschöpfung auf mehreren Ebenen schafft“, so der Experte. „Die Untersuchung belegt ferner, dass die Bereitstellung von Biomasse im Ackerbau dazu beiträgt, die Treibhausgasemissionen in Österreich durch die Substitution von fossilen Kraftstoffen zu reduzieren – 2015 waren es 2 Mio. t CO2-Äquivalent. Annähernd ein Fünftel davon geht auf die Beimischung von Ethanol zurück.“

Bei der volkswirtschaftlichen Bewertung des heimischen Ackerbaus ist Sinabell von zwei Szenarien ausgegangen. Einmal wurde unterstellt, dass Stärke aus Getreide nicht länger industriell verwertet wird, was „gravierende negative Folgen“ hätte. Der Experte leitet im Umkehrschluss daraus ab, „dass die Wertschöpfung durch direkte, indirekte und induzierte Folgewirkungen der Verarbeitung von Getreide um nahezu 850 Mio. Euro steigt. Damit sind fast 7.000 Vollzeitarbeitsplätze verbunden“.

Werden in Zukunft, so eine weitere Modellrechnung des WIFO, 190.000 t Plastik auf Grundlage pflanzlicher Rohstoffe produziert, so ersetzt das nicht nur dieselbe Menge an fossilem Rohstoff, es steigt damit auch die Wertschöpfung um annähernd eine halbe Mrd. Euro und es entstehen zusätzlich 5.000 Arbeitsplätze.

Schepers: Systembedingte Herausforderungen behindern politische Kohärenz der EU

Bei politischen Entscheidungen für eine nachhaltige Wirtschaftsweise stehen zwei Aspekte im Vordergrund. Zum einen, die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, zum anderen, den ökologischen Fußabdruck des Wirtschaftssektors klein zu halten. Die EU nimmt hierbei, laut Schepers, seit langem weltweit eine Vorreiterrolle ein, mit einer Bioökonomie, die schätzungsweise etwa 20 Mio. Arbeitsplätze schafft und einen Umsatz von mehr als 2 Billionen Euro erzielt. Brüssel setze dabei sehr stark auf den Forschungssektor, der auch entsprechend finanziert werde (Horizont 2020), dies sei jedoch nur ein Teil der notwendigen Schritte, mahnte Schepers dazu, „die Komplexität des Themas genau zu betrachten und querzudenken“.

Das große Problem sieht er jedoch „in einer Reihe von systembedingten Herausforderungen, die sich aus dem Aufbau und der Tätigkeit der EU ergeben und die politische Kohärenz innerhalb der EU-Kommission sowie zwischen Brüssel und den Mitgliedstaaten behindern“. Das erschwere es, sektorübergreifende politische Strategien zu entwickeln und umzusetzen, „wenn dafür ein vor mehr als einem halben Jahrhundert eingerichtetes Politiksystem zur Verfügung steht, das grundsätzlich auf getreten Ressorts beruht“. Infolgedessen sind viele Voraussetzungen zur Erreichung einer kreislauf- oder biobasierten Wirtschaft, wie beispielsweise Regeln des Finanzsektors, noch nicht vorhanden, was Übergangsinvestitionen behindert.

Ohne ein neuerliches grundlegendes Überdenken der Art und Weise, wie die EU-Politik umgesetzt werde, sei zu befürchten, dass die Einhaltung der politischen Zusagen für die Bioökonomie auf „tönernen Füßen“ stehe, so der EU-Experte. Österreich habe zwar während seiner Ratspräsidentschaft einen Anstoß zur Reformdebatte gegeben. Die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten auf einen Nenner zu bringen, sei jedoch ein äußerst schwieriges Unterfangen. Infolgedessen werde der Übergang zu einer Bioökonomie langsamer als technisch möglich wäre erfolgen, ist Schepers überzeugt. Der Wandel würde jedoch an Fahrt aufnehmen, wenn die Europäische Union und die nationalen Regierungen alle notwendigen Rahmenbedingungen festlegen würden, was bislang allerdings noch nicht der Fall sei. „Wir dürfen bei alldem nicht aus den Augen verlieren, dass es um unsere Wettbewerbsposition und um die Lebensqualität künftiger Generationen in der EU geht“, mahnte er abschließend.

Zscheile: Es gibt keinen anderen Weg

Der BioEconomy Cluster Mitteldeutschland, ein Zusammenschluss von 70 Partnern aus einer stark chemisch geprägten Region, beschäftigt sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 damit, das Potenzial in der Region zu heben. Der Cluster hat sich auf den Rohstoff Holz als ältesten Baustoff und Energieträger sowie seine in den vergangenen Jahren zunehmende Nutzungsvielfalt spezialisiert. Neben den üblichen Anwendungsgebieten in der Sägeindustrie und im Holzbau sollen durch die Bioökonomie intelligente Wertschöpfungsketten und -netze etabliert werden, mit dem Ziel, den gesamten Stamm effektiv zu verarbeiten. „Es ist ein sehr steiniger und sehr kostenintensiver Weg, aber es ist der richtige Weg“, zeigt Geschäftsführer Zscheile auf.

Der regionale Charakter ist wichtig

Aus seiner Erfahrung ist der Wandel zu einer „grüneren Wirtschaft“ ohne politische Weichenstellungen nicht möglich. „Es braucht Anreize, um Unternehmern die langfristigen Vorteile bioökonomischen Wirtschaftens näher zu bringen und Verbrauchern die Notwendigkeit nachhaltigen Konsums“, so Zscheile. Die Rahmenbedingungen sollten dabei von Brüssel festgelegt werden, die Umsetzung müsse aber auf regionaler Ebene erfolgen. „Jede Region, jedes Land hat da für sich spezifische Eigenheiten, die es zu nutzen gilt, wie etwa Mais in den USA, Holz in Deutschland, Skandinavien und Österreich. Dieses Potenzial gilt es zu heben und zu nutzen. Wir haben keinen anderen Weg.“

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