An einem hellen Frühlingsmorgen reibe ich ein Fichtenwipferl zwischen den Fingern und plötzlich springt ein Duft auf, der an Orange erinnert. Solche Momente haben mich gelehrt, den Wald nicht nur als Ökosystem, Rohstofflager, Schutzraum oder Speicher zu sehen, sondern als Zutat, als stillen Mitkoch, der unsere Alltagsaromen auf leise, aber wirkungsvolle Weise prägt. Wer mit dieser Brille durch die Küche geht, entdeckt den Wald überall: Schwarz- und Grüntee sind im Kern Baumblätter, Zimt ist Rinde, Ahornsirup ist eingedickter Baumsaft, Wein aus dem Holzfass zeigt den Baum als leisen Mitreifer. Und das Räuchern von Käse, Speck oder Fisch? Holz in seiner aromatischsten Rolle.
Seit Jahren spüre und koche ich diesem Faden rund um die Welt nach, von Käsemanufakturen und Fassbindereien über Parfümlabore bis zu Destillerien, und lerne dabei immer wieder, wie fein und überraschend differenziert Bäume schmecken. Eiche mit Anklängen von Vanille, Butter und Schokolade; Rot-Erle mit ihrer Himbeernote; Eukalyptus mit Salzkaramell; bis hin zu den dunkleren, lederigen Tönen von Teak. Seit Anbeginn schon würzt der Wald unser Leben, manchmal offensichtlich, oft verborgen.
Zitrusnoten der Nadeln
Besonders ans Herz gewachsen sind mir die Nadelbäume, die unterschätzten Zitrusfrüchte des Waldes. Schon frische Nadeln erzählen eine kleine Aromen-
reise: Tanne erinnert an Mandarine, Douglasie an Grapefruit, Fichte an Orange, Kiefer an Zitrone. Das Einstiegstor ist verblüffend einfach: ein Tee oder Sud, ein Sirup, ein Salz. Wer weitergehen möchte, probiert behutsam mit Rinde und, ja, durchaus auch mit Holz. Selbst der unbehandelte, biologische Christbaum lässt sich nach den Feiertagen vorzüglich weiterverwenden.
Bestimmt rührt meine Faszination auch daher, dass mein Leben zwischen Wäldern verlaufen ist, vom Wienerwald über das Waldviertel und die Salzburger Bergwälder bis zu den Sommern meiner Kindheit in den Wäldern Nova Scotias in Kanada. Der Wald ist Arbeitsraum, Freiluftlabor, Speisekammer und Zuhause. Er ist das grüne Mosaik, das ganze Regionen prägt und, wenn wir ihn kulinarisch mitdenken, kann er das Rückgrat einer eigenständigen regionalen Küche sein.
Wenn ich Waldbewirtschaftung durch diese kulinarische Linse betrachte, verändert sich mein Blick. Ein Mischwald ist dann keine abstrakte Biodiversitätsformel, sondern eine reichhaltige Speisekammer mit vielen Regalfächern: Hölzer, die unterschiedlich räuchern und aromatisieren; Fassdauben, die Getränke tragen, vollenden und veredeln; Blätter, Knospen und Nadeln als Würze; Harze, Rinden und Öle als Aromen. Was wir pflanzen und pflegen spiegelt sich am Teller wider. Bei meinen WienerWaldGenuss-Führungen und beim WienerWaldDinner erlebe ich das immer wieder: Im Schatten der Kronen verkosten wir im Eichenfass gereiften Wein, probieren Wildkirsch-Balsamessig, vermahlen Fichtennadeln mit Salz und rühren aus Birkenblättern ein wintergrün duftendes Tonic. Am Abend übersetzen wir diese Eindrücke auf den Teller, inmitten des Buchenhochwalds: Lärchenrindenbrot, Vienna Woods Ajo Blanco mit Fichtennadelöl und geräucherte Wassermelone mit einer Glasur aus Haselnussholz. Danach gehen alle anders durch den Wald, weil Geschmack und Landschaft plötzlich zusammenfallen. Genau hier zeigt sich, wie kraftvoll Essen aus Bäumen wirkt, denn es ist ein einzigartiges Kommunikationsvehikel für alles rund um den Wald und macht Bewirtschaftung, Artenvielfalt und Handwerk unmittelbar erfahrbar und besprechbar.
Tourismus mit Baumaromen
Kärnten bietet mit Bergwäldern, Almen und starker Handwerkskultur beste Voraussetzungen für diesen Weg. Wenn Waldbetriebe und Verarbeiter die Geschmacksleistung des Waldes mitdenken, entsteht Vielfalt am Teller und in der Wertschöpfung: sortenreines Räucherholz für Sennereien und Metzgereien, sorgfältig ausgewählte und langsam luftgetrocknete Fassdauben für Fassbindereien, Essig- und Weinbetriebe sowie Nadelsalze, Tees und Sirupe als feine Begleiter. Das Beste daran: kurze Wege, klare Herkunft und Geschichten, die man schmeckt. Ganz besonders auch Gäste aus anderen Ländern und Regionen.
Kulinarisch heißt das: Wir erzählen Produkte über Bäume. Ein Käse ist dann nicht mehr nur geräuchert, sondern über Kärntner Buche und Lärche geräuchert. Ein Wein reift nicht einfach im Fass, sondern in Eiche aus dem jeweiligen Forstrevier, luftgetrocknet und mittel getoastet. Ein Bier kann mit Nadeltee eingebraut werden, ein Essig mit wenigen Holzchips aus heimischem Holz veredelt, ein Sirup holt den Waldduft in die städtische Hausbar. Diese klare Benennung von Herkunft und Machart ist keine Spielerei, sie macht Produkte unverwechselbar.
Viele Wege beginnen klein, etwa mit einer Kooperation mit der Nachbarsennerei, einem Testlauf mit der regionalen Brauerei oder einem gemeinsamen Projekt mit einer Hotelküche. Aus ersten Verkostungen werden rasch Produkte und Erlebnisse, die sich Schritt für Schritt ausbauen lassen. Mir persönlich geht es dabei nie um Exotik um der Exotik willen. Es geht um das Selbstverständliche, das wir neu sehen: dass die Aromen unseres Alltags, vom Frühstück bis zum Feierabend, oft durch Bäume geformt werden. Wenn wir als Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer, Försterinnen und Förster, Verarbeiterinnen und Verarbeiter sowie Gastgeberinnen und Gastgeber diese Brücke bewusst bauen, gewinnen alle: die Aromen- und Artenvielfalt, die Betriebe, die Region und am Ende die Menschen, die schmecken, wo sie zu Hause oder zu Gast sind. Das ist das eigentliche Versprechen eines kulinarisch gedachten Waldes. Er gibt Regionen ein unverwechselbares Profil. Und er macht sie köstlich.
Kiefer in der Küche: Holz, Rinde, Kambium, Nadeln, Knospen und junge Zapfen auf einen Blick.
Frischer Kiefernasttee in Kanne und Tasse. Köstlich aromatisch mit hellen Zitrusnoten. Ein Baum, viele Aromen.
Wienerwald, Kronendach im Laubwald: Vielfalt im Bestand macht Herkunft schmeckbar.
Über den Autor: Artur Cisar-Erlach ist Autor, Waldökologe, Tischler und Experte für Lebensmittelkommunikation. Er erforscht, wie Bäume Geschmack prägen, und überträgt das in Küche, Handwerk und Tourismus. In Workshops zeigt er Kochen mit Bäumen. Bekannt durch Buchprojekte wie „Der Geschmack von Holz“ sowie die Initiativen WienerWaldGenuss und WienerWaldDinner arbeitet er international mit Forstbetrieben, Tourismus und Küchen. Ziel: eine Waldküche, die Herkunft erlebbar macht und Regionen köstlich profiliert.


